Übergeordnetes Ziel des Projekts Justitia 4.0 ist eine sichere digitale Justiz – damit der Weg zum Recht nicht mehr über Papierberge führt. Daneben eröffnet die Digitalisierung der Schweizer Justiz viele weitere Potenziale für alle Verfahrensbeteiligten: von einer effizienteren Zusammenarbeit zwischen Justizbehörden und Anwaltschaft über Zeitersparnisse beim Durchsuchen von Akten bis hin zur Attraktivitätssteigerung der Branche für Einsteigerinnen und Einsteiger, die bereits mit den Möglichkeiten der Digitalisierung aufgewachsen sind.
Viele Anwaltskanzleien sind bereits digital unterwegs, führen ihre Akten elektronisch und machen ihre Eingaben auf elektronischem Weg. Was sind die Vorteile dieser Arbeitsweise? Wo lagen die Herausforderungen bei der Umstellung? Anwalt Nino Sievi und Anwältin Anina Groh von der Kanzlei Lex Futura geben Antworten auf die wichtigsten Fragen und erklären, wieso nur eine nationale Lösung für die Digitalisierung der Schweizer Justiz eine sinnvolle Lösung ist.
Die digitale Transformation erfasst alle Bereiche unseres Lebens. Die Nutzung und Kompetenz im Umgang mit digitalen Instrumenten steigen stetig: Dies gilt für Bevölkerung und Wirtschaft ebenso wie für Behörden. Dadurch steigt auch die Erwartung von Wirtschaft und Gesellschaft, mit Justizbehörden (Gerichten und Staatsanwaltschaften) durchgängig digital verkehren zu können und die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen. Die Corona-Krise hat die Entwicklung zusätzlich beschleunigt. Zudem muss sich die Justiz vermehrt auch mit digitalen Sachverhalten und Beweismitteln befassen (z.B. Internet-Videos). In diesem Umfeld muss sich auch die Justiz entwickeln. Mit dem Projekt Justitia 4.0 treiben wir die digitale Transformation der Schweizer Justiz voran.
Die Digitale Transformation in der Verwaltung ist in vollem Gang. In den letzten Jahren haben viele Verwaltungsstellen digitale Services aufgebaut, von Papierakten auf elektronische Dossiers umgestellt und ermöglichen so durchgängig digitale Dienstleistungen (Stichwort E-Government). Auch viele Anwaltskanzleien nutzen die Möglichkeiten der Digitalisierung bereits, um ihre Arbeit auf vielfältige Weise effizienter zu gestalten. Heute ist der Umgang mit der digitalen Unterschrift aber noch kompliziert. Teilweise werden alternative und unsichere Kommunikationswege genutzt. Oft kommt es zu Medienbrüchen bei Eingaben. Um die Potenziale der digitalen Transformation nutzen zu können, ist ein gemeinsames System nötig.
Die Organisationen der Justizbehörden der Kantone und des Bundes sind föderal und unterschiedlich gestaltet. Einerseits variiert der Reifegrad bezüglich digitaler Transformation je nach Organisation, andererseits sind eine Vielzahl unterschiedlicher IT-Systeme im Einsatz. Darauf nimmt das Projekt Justitia 4.0 Rücksicht und geht das Thema etappiert und umfassend an. Die Einführung neuer Software reicht für die digitale Transformation der Justiz nicht aus. Stattdessen sind Lösungen gefragt, welche die Zusammenarbeit aller Beteiligten effizient vereinfachen und ihre bisher eingesetzten Systeme berücksichtigen.
Insgesamt dominieren (noch) Papierberge die Justiz (2020 erfolgten 1,5 % aller Eingaben digital). Die Arbeit mit Papier ist für die Branche mit viel Tradition, Wertschätzung und dem Ausdruck von Qualität, Sicherheit und Zuverlässigkeit verbunden. Trotzdem bestehen zahlreiche Nachteile: Mitarbeitende benötigen viel Zeit für das Suchen, Finden und Kopieren von Akten. Der Umgang mit der Papierakte (paginieren, datieren und verteilen) ist mit viel Zeitaufwand verbunden. Papierakten verunmöglichen zudem eine einfache Volltextsuche sowie das gemeinsame und gleichzeitige Arbeiten an Akten, wodurch die Aufgaben erschwert werden.
Der auf den Gerichten und Staatsanwaltschaften lastende Kosten- und Zeitdruck unterstreicht die Notwendigkeit, die potenziellen Effizienzgewinne durch die elektronische Aktenführung und die digitale Transformation zu realisieren. Der Zugang zur Justiz wird zudem durch den elektronischen Rechtsverkehr erleichtert. Dadurch kann auch den übergeordneten allgemeinen Zielen der öffentlichen Verwaltung entsprochen werden, die eine Effizienzsteigerung und eine grössere Bürgernähe (eGov-Strategie) verfolgen.
Der Justizbereich muss sich den Erwartungen der Digital Natives an die Arbeitswelt stellen, um auch in Zukunft attraktiv für Talente zu bleiben. Teilweise orts- und zeitunabhängiges Arbeiten ist für viele Arbeitskräfte unterdessen eine Erwartung – und heute mit Papierdossiers im Justizwesen nur in begrenztem Ausmass möglich.
Die Schweiz ist weltweit bekannt für Stabilität und Rechtssicherheit. Eine digitale Justiz trägt dazu bei, dass die Schweiz ihre Reputation als attraktiver und innovativer Wohn- und Wirtschaftsstandort pflegt. Im europäischen Vergleich ist die Schweizer Justiz aktuell im Hintertreffen, was das Thema Digitalisierung betrifft. Dieser Rückstand soll mit dem Projekt Justitia 4.0 aufgeholt werden.
Die Schweizer Justiz soll moderne und zeitgemässe Arbeitsmethoden nutzen können, die ein zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten unter Einhaltung höchster Sicherheitsstandards erlauben. Ob im Büro, im Gerichtssaal, im Verhandlungszimmer oder zu Hause – auf die eJustizakte kann immer zugegriffen werden. Durch den elektronischen Rechtsverkehr entfallen Verzögerungen und Informationsasymmetrien, die bisher wegen des postalischen Austausches und der Übermittlung von Schriftstücken und Aktendokumenten zwischen den einzelnen involvierten Akteuren und Instanzen auftraten.
Das Wegfallen der Koordination von administrativen und logistischen Tätigkeiten (Organisation von Kopierarbeiten, Aktenbereitstellung und -weitergabe) eröffnet Potenziale, um fokussiert an inhaltlichen Themen zu arbeiten. Durch den Übergang zur eJustizakte respektive die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs entfällt das physische Weitergeben an andere Organisationseinheiten. Die Ausgaben für Material und Versand sinken und auch die benötigten Ressourcen, beispielsweise für die Vorbereitung der Akteneinsicht und für die Archivierung, nehmen ab. Die freiwerdenden Kapazitäten können für neue Aufgaben genutzt werden, die für den digitalen Wandel notwendig sind.