Das Projekt Justitia 4.0 unterstützt die Justizbehörden auf ihrem Weg des digitalen Wandels mit massgeschneiderten Angeboten und Instrumenten. Für die Justitia 4.0-Ambassadoren, die als Bindeglied zwischen dem Projekt und ihrer Organisation fungieren, hat das Projekt Justitia 4.0 Online-Kurse entwickelt, in welchem ein Ambassador über seine Erfahrungen bezüglich des Kursthemas referiert. Am 16. August fand der erste Online-Kurs zum Thema Projektplanung statt, an dem fast vierzig Ambassadoren aus der ganzen Schweiz teilnahmen. Cornel Müller, Projektleiter Digitalisierung Justiz Thurgau gab in einer aufschlussreichen Präsentation einen Einblick, wie das Projektmanagement eingeführt wurde, welche Herausforderungen es zu meistern galt, wie die Roadmap aussieht, welche Ressourcen während und nach der Einführung von Justitia 4.0 in der Organisation eingeplant wurden und welche Aspekte besondere Aufmerksamkeit verdienen, um die digitale Transformation bestmöglich zu meistern.
Cornel Müller, Projektleiter Digitalisierung Justiz Thurgau und Ambassador Justitia 4.0, beantwortete unsere Fragen.
Cornel Müller, Sie haben am 1. Mai Ihr Amt bei der Thurgauer Justiz angetreten. Können Sie uns erklären, wie das Projekt zur Digitalisierung der Justiz des Kantons Thurgau entstanden ist?
Im Jahr 2021 gab es einen runden Tisch mit verschiedenen Vertretern der Justizbehörden, dem Regierungsrat und dem Amt für Informatik. Dabei wurde festgestellt, dass es sich beim digitalen Wandel um ein grosses Projekt handelt, das über die Justiz hinausgeht und auch Teile der Verwaltung betrifft. So wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die den Auftrag hatte, bis Mitte 2022 einen Statusbericht zu erstellen. In dieser Situationsanalyse wurden unter anderem die zentralen Projektthemen, insbesondere Ziel und Zweck, Kosten, Projektorganisation sowie die Zeitverhältnisse soweit wie möglich konkretisiert. Ein Expertenteam prüfte den Statusbericht im Sinne eines Vorprojekts, das in diesem Jahr abgeschlossen wurde. Mit dem Start der Initialisierungsphase wurde ein Projektteam gegründet, dessen Leitung ich per 1. Mai übernommen habe.
Welches waren die ersten Aufgaben, die Sie initiiert haben?
Eine der ersten von mir initiierten Aufgabe, war die Schaffung einer definierten Ausgangslage für die Erarbeitung einer möglichen Systemlösung. Dabei orientieren wir uns an der Projektmanagementmethode HERMES 2022. Damit haben wir ein Instrumentarium, welches uns vorgibt, wie wir dieses Projekt umsetzen wollen. Ergänzend haben wir auch die Anwendung OpenProject für die Planung, Verwaltung, Überwachung und Umsetzung von Aufgaben ausgewählt. Mit dieser Projektmanagement-Software können wir sehr spezifisch das Projekt strukturieren und eine Fortschrittskontrolle führen. So haben wir immer einen guten Überblick, wo wir stehen.
Inwiefern hilft Hermes?
Es unterstützt das Projekt mit klar definierten Phasen und Aufgaben für die involvierten Rollen, schafft ein gemeinsames Verständnis der Verantwortlichkeiten und der erwarteten Ergebnisse im definierten Zeitraum.
Wie gross ist Ihr Projektteam?
Heute sind wir zu dritt. Zwei Mitarbeiter unterstützen mich. Im Laufe des Projekts werden mehr Ressourcen benötigt und das Projektteam entsprechend wachsen. Das haben wir frühzeitig erkannt, geplant und budgetiert.
Wie sieht das Projektteam in der Zukunft aus?
Mit Hilfe von Hermes und den von uns zu liefernden Ergebnissen haben wir verschiedene Ressourcen identifiziert, die wir ab 2024 benötigen werden. Unter anderem werden wir für unsere Teilprojekte Gesetzgebung, Digitalisierung, Transformation und Informatiksysteme entsprechende Leiter/innen benennen. In der nächsten Projektphase ist einer der zentralen Schritte die Aufnahme der fachlichen Anforderungen. Dabei werden die Anwendervertreter/innen, Fachspezialisten, ein Business Analyst und Requirements-Engineer eine wichtige Rolle einnehmen. Ebenso werden wir gezielt Kommunikations- und Change Management-Verantwortliche, Fachexperten Gesetze sowie externe Projektunterstützung einsetzen.
Welche Themen gehen Sie konkret im Digitalisierungsprojekt an?
Unser Ansatz war es, zunächst unser Zielbild und unsere Vision zu definieren. Diese lautet: «Wir digitalisieren bis 2027 den Rechtsverkehr in der Justiz und arbeiten ausschliesslich mit elektronischen Dokumenten».
Daraus haben wir die folgenden Handlungsfelder abgeleitet:
1. die Umstellung der Geschäftsabläufe auf eine digitale Arbeitsweise
2. die digitale Transformation, d.h. die Anpassung der Arbeitsabläufe an die digitalen Anforderungen, denn es soll ein Mehrwert für die Organisation entstehen
3. die Informatiksysteme, d.h. die Bereitstellung der nötigen Infrastruktur an den Arbeitsplätzen, Verhandlungssälen, Einvernahmeräume etc.
4. die Einführung einer Fallführungsapplikation, welche die zukünftigen Anforderungen erfüllt.
Für uns war es wichtig, die Ziele zu definieren, die wir mit diesem Projekt erreichen wollen.
Das Projekt wird auch in den Organisationen vieles verändern, zum Beispiel die Geschäftsabläufe. Wie gehen Sie im Kanton Thurgau mit dem Thema Veränderung um?
Für uns war sofort klar, dass wir einen Kulturwandel haben werden. Für den Kulturwandel ist das ganze Change Management enorm wichtig. Der Wandel muss von der Führung getragen werden. Die Entscheidungsträger und Führungskräfte müssen hinter dem Projekt stehen, sie müssen es vorantreiben und transparent machen. Sie müssen auch die Mitarbeitenden und die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer motivieren, damit das Projekt ein Erfolg wird. Es ist uns auch wichtig aufzuzeigen, dass es sich bei diesem Projekt nicht nur um ein IT-Projekt handelt, sondern um ein Change-Projekt, bei dem das Fach, das heisst die Justiz im Zentrum steht.
In diesem Sinne wurde gezielt eine Person als Kommunikations- und Change Manager bestimmt, die auch nach Projektende den Change intern begleiten wird.
Wie werden wichtige strategische Entscheidungen getroffen?
Der Lenkungsausschuss, bestehend aus Vertretern der Justizbehörden, dem Regierungsrat und dem Amt für Informatik, entscheidet über die strategische Ausrichtung. Wir vom Projektteam haben regelmässige Termine mit dem Steuerungsausschuss, wo wir Anträge stellen, über den Stand berichten, wo wir erklären, welchen Weg wir gehen, welche Variante wir empfehlen. Ziel ist es, dass wir das Projekt von Anfang an auf den richtigen Weg bringen.
Wie viele Mitarbeitenden sind im Kanton Thurgau betroffen?
Rund 500 Mitarbeitende mit 21 direkt betroffenen Behörden.
Welche Ratschläge können Sie anderen Kantonen geben, die jetzt mit der Projektplanung beginnen?
Ich rate dazu, eine Projektmethode zu definieren, die hilft, die richtigen Schritte zum richtigen Zeitpunkt einzuleiten. Hier empfehle ich HERMES, um die Vielfalt und Komplexität der Themen zur richtigen Zeit mit der richten Flughöhe anzugehen. Mit einem genauen Plan kann das Ziel Schritt für Schritt erreicht werden. Mit einer etablierten Projektmanagement-Software können wir die Effektivität und Effizienz im Projektteam sicherstellen. Ich empfehle auch, das Change Management als wichtiges Instrument gezielt und auch nach Projektende weiter zu nutzen.
Stichwort Harmonisierung: Wie können beispielsweise die Bezirksgerichte in Bezug auf Abläufe und Prozesse auf einen gemeinsamen Weg gebracht werden mit dem Ziel einer Harmonisierung zwischen allen Bezirksgerichten?
Eine Harmonisierung von Abläufen und Prozessen innerhalb einer Organisation mit gerichtlicher Unabhängigkeit stellt eine grosse Herausforderung dar. Es ist jedoch denkbar, die Kernanforderungen zwischen allen Bezirksgerichten zu definieren und festzulegen. Hier bedarf es der Zustimmung aller Bezirksgerichte. Erst dann ist es möglich, bestimmte Zusatzanforderungen zu platzieren, zu diskutieren und ggf. umzusetzen. Im Einzelfall kann es sein, dass eine Zusatzanforderung nur in einem Bezirksgericht umgesetzt wird.