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06.11.2024
Basel-Landschaft

Oliver Wirths zu den Zielen des Piloten der Gerichte Basel-Landschaft

Die Gerichte Basel-Landschaft haben den Pilotbetrieb im Rahmen der Konzeptphase des Projekts «DTG – Digitale Transformation der Gerichte BL». Im Fokus steht die Nutzung der Plattform justitia.swiss, zunächst beim Zwangsmassnahmengericht (ZMG) und in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft.

J4.0: Welches sind die Ziele des Piloten?

OW: Wir verfolgen mit unserem Piloten verschiedene Ziele:

  • Wir möchten bereits jetzt die Organisation möglichst bereit für die Kommunikation über die Plattform machen. Also zum Beispiel die entsprechenden Logins bereitstellen, die Fragen der Anwenderinnen und Anwender kennen, wie funktioniert die digitale Unterschrift, etc.
  • Wir möchten wissen, wie wir unsere Arbeitsprozesse anpassen müssen, wenn wir digitale Daten, inkl. Quittungen via justitia.swiss erhalten. Heute bekommen wir digitale Akten via IncaMail oder auf einem USB-Stick. 
  • Da das Bundesgesetz über die Plattformen über die elektronische Kommunikation in der Justiz (BEKJ) wahrscheinlich erst 2027 in Kraft tritt, können wir den Piloten skalieren, d.h. wir können mit einem Geschäftsfall starten und mit der Zeit weitere pilotieren. So können auch immer mehr Mitarbeitende in die digitale Arbeitsweise eingeführt werden. Unsere Mitarbeitenden sind dann mit der digitalen Arbeitsweise vertraut, wenn uns das Gesetz vorschreibt, digital zu arbeiten.
  • Wenn wir uns bereits jetzt mit der digitalen Arbeitsweise auseinandersetzen, hilft uns dies, früh Probleme zu erkennen und dafür Lösungen zu finden. So können wir auch die Risiken minimieren.
     

J4.0: Welche Geschäftsfälle pilotiert ihr?

OW: Wir planen den Einsatz der Plattform einstweilen am Zwangsmassnahmengericht (ZMG) und in einer ersten Phase auch ausschliesslich für den Datenaustausch mit der Staatsanwaltschaft (als Ersatz für IncaMail). Sachlich grenzen wir es, ebenfalls in einer ersten Phase, auf die Verfahren betreffend Haftverlängerung sowie betreffend Genehmigung von geheimen Überwachungsmassnahmen ein. Der Scope soll hier ausgedehnt werden, wenn wir sicher sind, dass die Plattform zuverlässig funktioniert und sich die Mitarbeitenden ausreichend sicher im Umgang fühlen. 
In einem zweiten Schritt planen wir eine Ausweitung zwischen verschiedenen Kammern des Zivilkreisgerichts West und einer Kanzlei des ZKG Ost. Beim ZKG West werden Eheschutzverfahren und Verfahren nach erfolgloser Schlichtung beim Friedensrichter pilotiert werden. Die Abteilung Zivilrecht pilotiert dann diese bereits digital geführten Verfahren im Instanzenzug.

J4.0: Welches waren die wichtigsten Arbeiten, die ihr zur Vorbereitung des Piloten erledigen musstet?

OW: Im grossen ganzen gibt es drei Felder, die vorbereitet werden müssen:

  • Teilnehmer: Zunächst mussten wir Gerichte gewinnen, die Interesse hatten, am Piloten teilzunehmen. Dies ist uns nun mit dem Straf- und Zwangsmassnahmengericht sowie dem Zivilkreisgericht Ost geglückt.
  • Gesuch: Zweitens mussten wir die Rechtsgrundlage über ein Gesuch schaffen, dass wir gemeinsam mit unserem Pilotierungspartner, der STAWA BL gestellt haben. Dieses ist im geschützten Downloadbereich von Justitia 4.0 als Vorlage vorhanden. 
  • Technik: Drittens mussten wir einige technische Grundlagen schaffen. Es war wichtig, sich früh um das Login auf die Plattform justitia.swiss zu kümmern. Zudem müssen teilnehmende Personen für die qualifizierte elektronische Unterschrift zertifiziert werden, was sowohl technische als auch organisatorische Hürden mit sich bringen kann. Für jedes teilnehmende Gericht wird durch einen Administrator eine Behörde auf der Plattform angelegt und die jeweils teilnehmenden Personen zur Nutzung eingeladen werden.

J4.0: Ein Ziel ist, dass ihr eure Arbeitsprozesse anschaut und sie an die digitale Arbeitsweise anpasst. Was habt ihr gemacht?

OW: Wir schauen uns die Prozesse an, da in deren Überarbeitung ein riesiges Potential schlummert. Zum einem müssen die digitalen Prozesse nicht zwangsläufig die analogen Prozesse 1:1 abbilden. Zweitens können bei gleichen Prozessen die Instanzen der Geschäftsverwaltung deutlich ähnlicher und somit wartungsärmer konfiguriert werden. Drittens haben sich über die Jahre in einigen Bereichen Best Practices ausgebildet, die wir nun natürlich über alle Gerichte nutzen wollen. Die digitale Frankatur ist ein Beispiel dafür. 
Zuerst haben wir uns zusammen mit den Gerichtspräsidien, Gerichtsschreibenden und Kanzleipersonal die heutigen Arbeitsprozesse an den verschiedenen Gerichten angeschaut und deren Dokumentation gesammelt. Anschliessend analysierten wir, welche Arbeitsschritte von der Digitalisierung betroffen und welche harmonisiert werden können. Dabei verfahren wir nach dem Grundsatz, dass die Dinge, die gleich gemacht werden können auch gleich gemacht werden sollen und nur dort, wo Unterschiede notwendig sind, wir diese einbauen. 
In einem dritten Schritt werden wir nun die gemeinsamen Prozesse festlegen, dokumentieren, verabschieden und einführen. Wichtig ist uns auch eine nachhaltige Verankerung und Weiterentwicklung über das Projekt hinaus.

J4.0: Kannst du uns ein Beispiel eines Arbeitsschrittes geben, den ihr analysiert habt?

OW: Wir werden zu Beginn sehr viele Dokumente scannen müssen. Am Strafgericht wird das schon gehandhabt, in anderen Rechtsgebieten eher weniger. Hochleistungsscanner gibt es bereits überall, es galt abzuklären, ob wir zusätzliche Scanner brauchen. Wir haben auch analysiert, wo diese Scanner sein müssen, geben wir das Scanning an eine externe Stelle, machen wir das intern zentral für alle Gerichte oder lokal bei jedem einzelnen Gericht. Wir sind zum Schluss gekommen, dass jedes Gericht einen Scanner braucht und selber einscannt, da das Fachpersonal vor Ort ist. Dieses prüft auch, ob die Akten vollständig sind. Zudem bleibt das Original lokal beim entsprechenden Gericht.

J4.0: Datenschutz und Informationssicherheit ist auch ein grosses Thema. Was gab es in diesem Bereich zu tun?

OW: Wir haben eine Datenschutzanalyse nach HERMES gemacht und sind daran, ein ISDS-Konzept zu schreiben. Dieses brauchen wir auch für die Verwendung der Fachapplikation Tribuna. Es wird Verweise auf die Konzepte von Justitia 4.0 geben. Wir sind auch in Kontakt mit der kantonalen Datenschutzstelle. 

J4.0: Ihr musstet ein Gesuch ans Bundesamt für Justiz stellen, um eine Bewilligung für den Pilotbetrieb zu erhalten?

OW: Genau, wir haben das Gesuch Mitte April 2024 eingereicht und Ende Juni 2024 die Bewilligung mit einigen Auflagen erhalten. 

J4.0: Inzwischen habt ihr festgestellt, dass ihr den Umfang des Piloten erweitern möchtet und habt beim Bundesamt für Justiz abgeklärt, wie das möglich ist?

OW: Wie erwähnt möchten wir die Zeit nutzen und in einem zweiten Schritt den elektronischen Rechtsverkehr zwischen einem Zivilgericht und ausgewählten Anwältinnen und Anwälten pilotieren. Hierfür haben wir bereits ein Erweiterungsgesuch gestellt, welches vom Aufwand her deutlich geringer ausfällt als das erste Gesuch. Dennoch empfehle ich empfehle, dass man im Gesuch den pilotierten Geschäftsfall nicht zu eng fasst und somit einen gewissen Handlungsspielraum hat. 

J4.0: Der erste Pilot betrifft das Zwangsmassnahmengericht. Welche Rollen im ZMG sind konkret im Piloten involviert und wie bereitet ihr sie vor?

Alle Rollen im Gericht von der Kanzlei bis Präsidium sind beteiligt. Aus der Justizkette sind des Weiteren die STAWA und Anwälte beteiligt. Sobald die technischen Voraussetzungen geklärt sind, führen wir einen Kickoff mit allen Beteiligten durch. 

J4.0: Für die Pilotierung des elektronischen Rechtsverkehrs zwischen Gericht und Anwälten braucht ihr Anwälte, die digital arbeiten wollen. Wie habt ihr die gefunden?

Für die Pilotierung am Zivilkreisgericht West, wo wir Eheschutzverfahren und Verfahren nach erfolgloser Schlichtung beim Friedensrichter pilotieren werden, informieren wir die Anwältinnen und Anwälte über einen regelmässigen Austausch mit dem Anwaltsverband.

J4.0: Gibt es eine Vereinbarung zwischen den Gerichten und den beteiligten Anwälten?

Ja, es gibt eine Vereinbarung, die von der STAWA gemeinsam mit J4.0 ausgearbeitet wurde.

J4.0: Wie werden die Beteiligten geschult, damit sie mit der Plattform arbeiten können?

OW: Wir werden mit den Beteiligten den gesamten Prozess durchgehen und ihnen zeigen, wie sie mit der heutigen Geschäftsverwaltungssoftware, PDF Reader und der Plattform arbeiten können. Viele der Kolleginnen und Kollegen arbeiten ja bereits digital, daher liegt der Schwerpunkt auf den technischen Themen wie Login, Nutzung der Plattform, Signatur etc.

J4.0: Wo siehst du die grössten Herausforderungen bei der Vorbereitung eines Piloten?

OW: Wir hatten von technischer Seite die eine oder andere Nuss zu knacken, insbesondere der Login hat sehr lange gedauert, weil es unklar war, wer dafür zuständig ist. Da hat unsere Applikationsmanagerin ihr grosses Durchhaltevermögen unter Beweis gestellt!

Gleichzeitig sehen wir in jedem Gericht das Thema der begrenzten Ressourcen für zusätzliche Projektarbeit. Hier war es wichtig, motivierte Teilnehmer zu finden und ihnen die Möglichkeit zu geben, den Scope des Piloten so zu wählen, dass er in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit bearbeitbar ist. Auch denke ich, dass es geholfen hat, mit echten Fällen zu pilotieren, da die geleistete Arbeit somit produktiv ist. 
 

J4.0: Hast du Empfehlungen an nachfolgende Pilotkantone, was sie speziell zu beachten haben?

Ich empfehle frühzeitig anzufangen, einen engen Draht mit Justitia 4.0 zu suchen und die technischen Themen gut zu klären. Auch glaube ich, dass der Austausch mit anderen Kantonen, Stellen oder Projektleitenden, die bereits etwas weiter sind, extrem hilfreich ist. Daher haben wir auch viele Dokumente geteilt. 

J4.0: Was macht dir Freude, was motiviert dich, dich für die Digitalisierung der baselländischen Gerichte einzubringen?

OW: Ich finde die Digitale Transformation ist DAS Projekt der Gerichte und in der Justiz. Wo gab es schon mal die Chance so viel zu gestalten und wann kommt in Zukunft wieder eine solche Chance? 

Ich setze mich dafür ein, dass durch die Digitalisierung die Arbeit für alle Beteiligten wirklich besser wird und diese eine effiziente und qualitativ hochwertige Rechtsprechung ermöglicht. Es gibt so viele Chancen, ergreifen wir sie. Auch denke ich, dass wir erst am Anfang stehen. Es gibt noch so viele Chancen, die Arbeit effizienter zu gestalten und langweilige Aufgaben zu automatisieren. So könnten z.B. die Parteien durch die Rechtskette übergeben oder durch KI ausgelesen werden. Dann hätten die Kanzleien deutlich weniger Arbeit.

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